Es gibt Städte, die sind zu groß, um von
ihnen erzählen zu können. New York oder Los Angeles zu Beispiel.
Vieles ist allgemein bekannt und viele haben darüber geschrieben und
werden fraglos noch mehr darüber schreiben. Deshalb nur kleine Randbemerkungen.
Spurensuche: Deutsche Emigranten in
Kalifornien
oder der Kunst wegen nach Pasadena (Norton Simon Museum) oder
im Land von Dick und Doof, Kalifornien Sommer 2007 oder dort sind nicht wenige guggu und meschugge.
Ich konnte lesen ("Spaziergänge durch das Hollywood der Emigranten",
C. Schnauber, Arche), dass Hollywood, Santa Monica, Beverley Hills und
die Pacific Palisades die Gegenden waren, in denen viele Emigranten ab 1932 gelebt haben:
Theodor Adorno und Max Horkheimer, Bertolt Brecht und Hans Eisler,
Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Franz Werfel und viele
viele andere. Es war die größte kulturelle Diaspora der Weltgeschichte:
Künstler aus Deutschland, Österreich und Russland wirkten in dieser
Stadt.
Es mag Kultur-Fetischismus sein, nach Los Angeles zu reisen
und sich die ehemaligen Wohnhäuser von deutsch-jüdischen Schriftstellern
und Intellektuellen anzuschauen, aber ich denke, sie haben für mich als
Nachgeborener, einen anderen Symbolwert als der
Walk of Fame in Hollywood zu dem abertausende Touristen eilen.
Wir waren präpariert (Rand McNally/Los Angeles-Hollywood) und
fuhren von Marina del Ray kommend Richtung
Santa Monica und bogen dort am Municipal Pier auf den Pacific Coast Hwy,
um nach wenigen Meilen auf den Sunset Boulevard einzubiegen.
Die zweite Straße links, die Gegend hier heißt Pacific Palisades, der Paseo Miramar. Er führt steil hinauf. 520
Paseo Miramar, die Villa Aurora. Sie ist das einzige Emigranten-Haus in
L.A., das authentisch erhalten geblieben und öffentlich zugänglich ist,
kein Museum, aber eine deutsche "Hall of Fame" oder "Hall of Shame"¹, wie
man dem Internetauftritt
entnehmen kann.
1932 kehrte Lion Feuchtwanger mit seiner Frau von einer
USA-Lese-Reise nicht nach Deutschland zurück. Sie gingen, wie viele
andere auch, nach Sanary (z.B. Hotel de la Tour) in
Südfrankreich. Als dort für sie die Lage bedrohlicher wurde, nahmen sie
ein Schiff nach New York und kamen schließlich 1941 in Los Angeles an.
Ich konnte aus dem Buch entnehmen, dass sie hier, damals weit außerhalb
der Stadt, dieses geräumige Haus kauften. Die Villa im "Spanisch Revival
Style", kostete 9000 Dollar, was nicht viel war, aber immerhin so viel,
wie ein Professor in zwei Jahren verdiente. Hier hat Feuchtwanger bis zu
seinem Tod im Jahre 1958 gewohnt und gearbeitet. Während der
Emigrationszeit war dieses geräumige Haus eines der wichtigsten
Fluchtpunkte der jüdischen und deutschen Intellektuellen.
Das Haus und die Einrichtung fiel 1987 an die University of Southern
California. Heute ist es ein Kulturzentrum.
Wir steuern zurück zum Sunset, vorbei am Lucca Drive und Monaco Drive in
eine Gegend, die "The Riviera" heißt.
1550 San Remo Drive ist ein zweistöckiges Haus hinter Feigenbäumen,
von dem wir nur eine Ecke sehen können: Thomas Manns Domizil. Thomas
Mann ließ es 1941 von dem deutschen Emigranten Ernst Schlesinger im
puristischen Stil erbauen
und lebte hier zwischen 1942 und 1952. Hier entstanden einige Werke, die
zu den bedeutendsten der deutschen Literatur zählen.
Wir blieben an der "Riviera"
kreuzen abermals den Sunset und
halten gegenüber vor 689 Amalfi Drive.
Ein Flachbau, von der Straße einzusehen, ein eher bescheidenes Haus, das Haus von Hanns Eisler
[1898, † 1962, dt. Komponist, schrieb Musik für Theaterstücke B.
Brechts, komponierte viele Lieder für Ernst Busch (Ich kann noch
einige Texte von ihm daher singen.) und die
Nationalhymne der DDR (Text von J. R. Becher)].
Gut, dass
wir nicht soviel Geld haben, wir könnten uns gar nicht entscheiden:
Diese Gegend mit den italienischen Straßennamen ist mit großen,
dekorativen Häusern, mit "Ego-Mansions" bestückt, die Geschmack und
viel viel Geld ausdrücken. Hier wird einem vorgeführt, wie man mit viel Geld
wirklich gut leben kann.
Dann rollten wir über den San
Vincente Boulevard bis zur 26. Straße. Vor Jahrzehnten las ich 'Bertolt Brechts Arbeitsjournal' (Suhrkamp
Erste Auflage 1973) querdurch und erfuhr, dass Brecht
im Spätsommer 1941 von Stockholm über Moskau mit der Transsibirischen
Eisenbahn² nach Wladiwstok fuhr und per
Schiffspassage am 21.07.1941 in San Petro,
dem damaligen Hafen von L.A., ankam. Am Pier holten ihn u.a. Martha
Feuchtwanger ab. Die erste Unterkunft war in der 1954 Arygle Avenue. Das Haus Nummer 1063, 26. Straße war ab
30. Oktober 1942 Brechts zweites
Haus in Santa Monica, in dem er bis zu seiner Rückkehr 1947 nach Deutschland
lebte. Brecht schreibt im 'Arbeitsjournal' über das Haus: "das haus
ist eines der ältesten, [...] ein kalifornisches holzhaus, getüncht, mit
oberen stockwerk, in dem 4 schlafzimmer sind. ich habe einen langen
(fast 7 meter) arbeitsraum. [...]. im garten sind alte bäume (peffer-
und feigenbaum). miete 60 $." - Es ist in der Tat sehr unspektakulär, im "Box-Style"
entworfen.
Zurück
glitten wir über den Wilshire Boulevard über Venice nach Marina del Ray.
Warum aber sind so viele deutsch/jüdische Emigranten nach Kalifornien gekommen? Es gab sicherlich
auch praktische Gründe. Nun, Kalifornien war damals für sie preiswert
und sie brauchten (außer solche Größen wie Thomas Mann und ...) nicht
viel zum Leben. Außerdem herrschte hier eine Freiheit wie sonst
nirgendwo in Amerika, fast anarchische Zustände. Und die Sonne schien
jeden Tag.
zu 1 Ich fühle mich übrigens nicht beeinflusst von Schuldgefühlen,
sondern halte es mit Karl Jaspers, der die Kollektivschuld als ad
absurdum bezeichnete.
zu 2 Nun ja, immerhin flog ich 1971 dank der Offenbacher
SPD (Heiner Zeller sei hier erwähnt) nach Moskau und konnte auf dem Weg
nach der Provinzstadt Vladimir ein ganz kleines Teilstück dieser Strecke
erfahren.
Literatur: Michael Lentz, "Pazifik Exil", S. Fischer
(Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, 26.08.2007)
Die nächsten Tage sollten uns dann noch nach Palm Springs (117
Golfplätze, 130 Hotels für jeden Geschmack) bzw. nach Desert Hot Springs,
in das durch seine ominösen "Geschichten" umwogene
Two Bunch Palms Resort, dem Big Bear Lake,
über das Lucerne Valley nach Big Sur, dort vorbei geschrammt am Post Ranch Inn, nach Santa Barbara,
Carmel by the sea (Clint Eastwood mit seiner
Mission Ranch lassen grüßen!),
dem
17 mile drive mit dem
Pebble Beach
Golfplatz,
Balboa Island und Laguna Beach
führen.
In Laguna Beach konnte
ich übrigens ein Paparazzifoto von dem verloren gegangenen Hund von
Paris Hilton machen und
in die Celebrity-Gossip-Seite www.TMZ.com
(= Internet-Klaschseite, in der kaputte Prominente abgebildet werden,
schön sortiert nach Rubriken Wrack, Fahndungsfoto, Besoffen und
Wasmachteigentlich)
stellen. Ich schwör's, denn ich konnte am Abend das Foto in der
CBS-"Late-Late-Late Show" sehen.
Apropos: In Santa Barbara fielen mir beim
Bezahlen im Restaurant sechs Klo-Coupons von deutschen
Autobahnraststätten aus der
Geldbörse. Leider
sind die in Amerika nutzlos. Diese vielen Coupons sind einfach ein
Problem.
Clint Eastwood, als Actionheld verewigt in seinem Restaurant
in Carmel. Superstar Doris Day, Miteigentümerin des "Cypress-Inn",
leider selbst aus der Ferne nicht gesehen. Apropos Camel,1975
wurde als erste amerikanische Kleinstadt der Laubbläser verboten.
Hier sind nicht wenige guggu und meschugge.
[...]
Post Skriptum Ich habe mit Hilfe des Emisionsrechners auf
www.atmosfair.de berechnet, wie
die Klimawirkung der beiden Flüge nach New York und Los Angeles war. Ich
bin für 6,8 Tonnen CO2 verantwortlich. Ich bin ein
Klimaschädling!
"Stand", las Stephen Shore an der Chevron-Tankstelle, als er im Juni 1975 in
Los Angeles auf der
Kreuzung von La Brea und Beverly Boulevard zurollte. Er gehorchte
- und machte
ein Bild, das heute zu den Ikonen der amerikanischen
Gegenwartsfotografie zählt.
An dieser Tankstelle warb Chevron 2007 für ein Computerspiel der Firma Activision
(Interstate '76).
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Man sieht nur das, was man weiß!
Lion
Feuchtwangers Haus, Villa Aurora, 520 Paseo Miramar
Thomas Manns Domizil 1550 San Remo Drive - Die Zeit muss man sich
nehmen.
Hanns Eislers Haus - Karl Marx der Musik
689 Amalfi Drive
Oktober 1942 zogen Brecht und seine Familie
nach Santa Monica 1063, 26. Straße und
Grauschädel Feldpusch davor.
Blick von unserem Motel auf den Pier von Santa Barbara. Hier kam mir das
zupass, dass ich mir 2004 das "DFB-Fan-Set, 2teilig" bei
ALDI-Süd für 7,99 €
zugelegt hatte.
Night Club Saloon zu verkaufen!
Als Geschäftsmodell überdenkenswert. Aber die Lage, die Lage. Gesehen
in Lucerne Valley, Califonien. [...]
Von wegen "End". Ökologisch vertretbare Windräder soweit das Auge
reicht. Gesehen zwischen Palm Springs und Desert Hot Springs.
Ja, Amerika!
Wir mussten Tanken. Auf diese Tankstelle in Los Angeles auf der
Kreuzung von La Brea und Beverley Avenue rollte ich zu: Hier fand ich
Selbstbedienung, eine Zapfsäule mit einem Kreditkartenautomaten und
Wahltasten für diverse Benzinsorten, die mir nichts bedeuteten. Ich
schraubte den Tankdeckel auf. Ich fluchte und bekam Schnappatmung!
Wahrscheinlich zu viele Meilen gefahren. Es kam der Besitzer. Ein Sikh
mit dunkelbraunem Turban. Der indische Turban gab einem
indischen Ohne-Turban in einer mir nicht geläufigen Sprache eine
Anweisung. Vermutlich gab er ihm die Anweisung, mir, diesem Ausländer zu helfen:
"Der bekommt ja nicht mal Benzin in den Tank." Ich bat den indischen Ohne –Turban den Tank vollzutanken.
Ich zahlte beim Turban und sah zu, dass ich wieder Meilen gewann.
[...]
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